Das Dorf Pokrovskoje liegt am linken Ufer des Flüsschens Snezhed und ist nur 10 km westlich von der Kreisstadt Tschern entfernt. Zum Ende des 18. Jahrhunderts gehörte das Dorf Leo Tolstois Onkel zweiten Grades, Peter Tolstoi. In der Familiengeschichte spielte es insofern eine große Rolle, weil hier im Jahr 1847 Leo Tolstois Schwester Maria mit Peters Tolstoi Sohn getraut wurde. Seitdem stand das Tolstoi-Leben in enger Verbindung mit dem Landgut zu Pokrovskoje. Leo Tolstoi besuchte es mehrmals. Hier pflegte er sich länger zu verweilen, um zu dichten. In diesem Zusammenhang steht sein allererster Ideenvermerk zur berühmten „Leinwandmesser“-Pferdegeschichte. Auf dem Landgut seines Freundes und Schriftstellers Iwan Turgenjev zu „Spasskoje-Lutovinovo“ sollte ihm eines Tages ein „altes, mageres und ausgedientes Pferd“ über den Weg gelaufen sein. Daraufhin kommt er nach Pokrovskoje zurück und notiert in seinem Tagebuch: „Möchte eine Pferdegeschichte schreiben.“ Nach Pokrovskoje, das nur ein paar Kilometer von Spasskoje-Lutovinovo entfernt liegt, kam oft auch Iwan Turgenjev zu Besuch, der ebenfalls mit Tolstois Schwester Maria befreundet war. Turgenev ließ in seinen Briefen begeisterte Äußerungen über Tolstois Schwester zurück: „Intelligent, gutmütig und sehr sympathisch“, „sie ist eine der attraktivsten Frauen, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Hübsch, intelligent, es ist kein Auge von ihr abzuwenden. In meinen ja ganz alten Tagen (am Donnerstag bin ich 36 geworden) hätte ich vor Liebe fast den Verstand verloren.“ Ihre Liebesgeschichte wurde zur Grundlage von „Faust“, einer kleinen Tolstoi-Brieferzählung über eine tragische Spätliebe. Als Prototyp für die Frauenhauptfigur stand bekanntermaßen Tolstois Schwester Maria, wobei auch deren bemerkenswerten Vernunft und Anmut zum Ausdruck kommen. Festgehalten sind u.a. einige Details der vertraulichen Tolstoi-Geschwisterunterredungen aus dem Pokrovskoje-Zeitalter. Die amtliche Ehe von Maria Tolstoi war unglücklich. 1857 hat sie sich von ihrem Mann scheiden lassen. 1865 lebte er ab. Erst sieben Jahre später bekräftigte das Kreisgericht von Tula das „Anrecht der Witwe und ihrer Kinder auf das Erbe des verstorbenen Herrn Valerian Tolstoi“. Viele Jahre später ging Pokrovskoje in Besitz Tolstois Nichte, sprich der Tochter von Maria Tolstoi, Frau Elisabeth Obolenski. Allein der Schicksalslaune zu Folge sollte nun dann die eigene Tolstoi-Tochter Maria deren Sohn Nikolaus Obolenski heiraten, um mit ihm dann einige gemeinsame Tage in Pokrovskoje wieder zu verbringen. Von einem einst riesigen Landgut zu Pokrovskoje blieb nur ein kleines Häuschen erhalten, das Tolstois Schwester Maria gehörte. Nach der Oktoberrevolution 1917 befand sich hier ein Dorfklub, dann eine Dorfschule. Im Jahr 2001 wurde es von Jasnaja Poljana als Museumsfiliale übernommen.